Katalogtext Radiale 2025
Paul Schuseils bildhauerische Arbeiten zeichnet ein ungebremster Spieltrieb aus. Kein Material, kein Medium ist vor ihm sicher: Er baut Objekte aus Spanplatten, modelliert mit Ton, experimentiert mit Bronzeguss und Stuckmarmor, kombiniert mit Fundstücken, spielt mit Wörtern und Texten, die durch ihre unkonventionelle Zusammenstellung neue Sinnzusammenhänge erschließen. Seine Arbeiten erscheinen mal figurativ, mal abstrakt, scheinbar funktional, aber vor allem rätselhaft wie das aus vielen Einzelfragmenten bestehende Werk Boros – abgeleitet von Ouroboros, dem altägyptischen Symbol der sich selbst verzehrenden Schlange. Nicht von ungefähr ergäben die einzelnen Glieder einen geschlossenen Kreis, schillert die Oberfläche grünmetallisch, lässt das rosafarbene Innere an eine Speiseröhre denken, die alles zu verschlingen droht. Der Künstler selbst hat sich beim Modellieren mit dem Körper in das Material eingeschrieben. Wie die Schlange scheint er mit seinem Werk zu verschmelzen oder metaphorisch von ihm verzehrt zu werden. Ähnlich herausfordernd für die Vorstellungskraft wirkt die Werkgruppe der Orthesen. Dabei handelt es sich um skurrile Stützkonstruktionen, die dabei helfen sollen, bestimmte imaginäre Posen einzunehmen, wie zum Beispiel die des Denkers.
Orthesen werden in verschiedenen Alltagsbereichen wie der Pflege oder Logistik eingesetzt, um Abläufe zu optimieren. Paul Schuseils Orthesen führen dagegen mit ihrer angeblichen Benutzbarkeit diese Funktion ad absurdum und entlarven auf ironische Weise eine auf Effizienz getrimmte Gesellschaft.
Humor ist ein wesentlicher Faktor in seiner bildhauerischen Arbeit mit der er aktuelle Gesellschaftsphänomene aufs Korn nimmt. Nicht erst seit Corona ist der Hygiene-Wahn, von der Werbung befeuert, allgegenwärtig. Eine Reihe von Arbeiten widmen sich der Sanitärwelt, wie Saniflairarium oder Heaven smells like clean spirit. Letztere bezieht sich auf den Nirvana-Song Smells Like Teen Spirit, bei dem ein Deodorant namensgebend war. Paul Schuseils Objekt ist eine krude Mischung aus keramisch geformten Halterungen und zwei Flüssigseifenspendern, die an eine Gerätschaft aus einem Forschungslabor erinnert. Mithilfe eines Seifenfingers kann ein Bewegungssensor ausgelöst werden, der die Produktion von Schaum- und Flüssigseife aktiviert. Der dabei sich entwickelnde Duft entlässt ein Versprechen in den Raum, welches schwer einlösbar ist.
Paul Schuseil spielt mit den Erwartungen, die Forschung und Werbung bereithalten und liefert dazu einen humorvoll verpackten, kritischen Kommentar. Seine dysfunktionalen Apparaturen und Objekte stellen die auf Funktionalität ausgerichtete Welt infrage und räumen dem menschlichen Faktor wieder einen Stellenwert ein.
Dr. Gabriele Rasch
Katalogtext der Ausstellung „Identität“, Ignaz-Bubis-Gemeindezentrum , Frankfurt am Main 22.10. – 15.11.2020

Dagewesen-2020-IBG, 2020, Kunststoff-Graphit-Mischung, verschiedene Maße, ortsspezifisch und variabel (Fotos auf dieser Seite: © Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main)
Paul Schuseil nähert sich dem Thema Identität zunächst assoziativ und konsultiert in der Folge Lexika, die Identität mit „Echtheit“, „Selbst“ und „Übereinstimmung“ umschreiben.
Besonders letzteren Begriff macht sich der Künstler für seine bildhauerische Praxis zu eigen. Metallene Konstruktionen, mit dem eigenen Körper abgeformt, wirken als prothesenartige Stützen, helfen bei der Einnahme komplizierter, verworrener Posen. Sie offenbaren
formal zunächst keinen erkennbaren Bezug, zitieren jedoch häufig in der klassischen Malerei eingenommene Posen von Modellen und Bildakteuren. Paul Schuseil hinterfragt mit seinen Arbeiten die Potenziale der Plastik, die zwar schon lange vom Sockel gehoben wurde,
seit den Nullerjahren jedoch verstärkt prozessuale, interaktive Ansätze offenbart.
Ausgangspunkt der Arbeit Dagewesen-2020-IBG ist das Identitätssymbol per se: der Fingerabdruck, der nicht selten mit Identifizierbarkeit – bei Wahlen, Reisen oder
anderswo – assoziiert wird. Der Künstler bewegt sich dabei im Spannungsfeld von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Mit seinen Arbeiten im Foyer des Ignatz BubisGemeindezentrums hinterlässt er subtile Interventionen im Raum. So unbemerkt der eigene Fingerabdruck auf Geländern, an Türrahmen oder Türklinken verbleibt, so latent bewegt sich der Künstler für Dagewesen-2020-IBG in den Räumen des Gemeindezentrums und hält dieses vermeintlich Unbemerkte in seinen skulpturalen Arbeiten fest. Die Besuchenden werden auf ebenso unvermittelte Weise und an unerwarteten Orten mit den Arbeiten konfrontiert, die ein Substitut für Berührung sind. Paul Schuseil formuliert so eine zeitgemäße Antwort auf die Potenziale der Skulptur.
Text: Daniela Lewin, Sonja Roos